Sonntag, 27. August 2017

Das Bundesarbeitsgericht und der Schutz der Arbeitnehmer vor einer "dauerhaften Produktivitäts-Überwachung"

Streitfragen vor den Arbeitsgerichten berühren einen Kernbestandteil unseres Lebens, wenn man überlegt, wie viel Zeit die Menschen, die eine Erwerbsarbeit haben, mit dieser zubringen. Und notwendigerweise wird es bei arbeitsweltlichen Konflikten immer ganz unterschiedliche Perspektiven geben  und wo Verlierer und Gewinner sind, dann ist auch Frust und Freude. Und manche Entscheidung der Arbeitsgerichte wird auf Unverständnis oder Ablehnung stoßen. Das lässt sich grundsätzlich nicht vermeiden. Immer wieder kann man mit Blick auf die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit lesen, sie sei "arbeitnehmerfreundlich", womit man wohl zum Ausdruck bringen will, sie sei den Arbeitgebern nicht so zugewandt, wie sich die das wünschen.

Dabei haben sich die Arbeitsrichter zuweilen mit nicht wirklich jugendfreien Themen zu beschäftigen und entscheiden diese auch letztinstanzlich: Griff ans Geschlechtsteil führt zur Kündigung: »Ein Mann wird gefeuert, weil er einem Kollegen in den Schritt fasst - aus Gehässigkeit, nicht aus Lust. Trotzdem ist das sexuelle Belästigung, stellte das Bundesarbeitsgericht nun klar.« Ein kräftiger Griff ans Gemächt des Kollegen, die Bemerkung: "Du hast aber dicke Eier!" Einem Stahlarbeiter aus Bremen war wegen dieses Verhaltens gekündigt worden. Dagegen wehrte er sich vor Gericht. Beim Landesarbeitsgericht in Bremen hatte er recht bekommen: Zwar habe er sich falsch verhalten. Aber weil er seit 23 Jahren ohne Beanstandung bei der Firma arbeitete, hätte als Sanktion eine Abmahnung gereicht. Offensichtlich eines diese Urteile im Sinne des Arbeitnehmers.

Das sieht das Bundesarbeitsgericht als höchste Instanz anders: Die absichtliche Berührung der Geschlechtsteile eines anderen gilt immer als sexuelle Belästigung und kann am Arbeitsplatz die Kündigung nach sich ziehen. Auf eine sexuelle Motivation der Berührung kommt es dabei nicht an (Az: 2 AZR 302/16).
Nur um den Sachverhalt abzurunden: Dass es bei der Kündigung bleibt, ist trotz des eindeutig daherkommenden Urteils nicht sicher, denn nach der Klarstellung durch das BAG soll das Landesarbeitsgericht Bremen nun prüfen, ob der gekündigte Arbeitnehmer gewichtige soziale Gründe anführen kann, die schwerer wiegen als das Kündigungsinteresse der Firma.

In diesem Beitrag soll es aber um eine andere neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts gehen, deren Bedeutung man nicht gering schätzen sollte: Arbeitgeber dürfen die Produktivität ihrer Beschäftigten nicht dauerhaft technisch überwachen. Auch eine entsprechende Betriebsvereinbarung ist unzulässig und daher unwirksam, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem Urteil entschieden hat, kann man beispielsweise dieser Meldung entnehmen: Dauerhafte Überwachung ist unzulässig.

Das Bundesarbeitsgericht hat einen Schiedsspruch über eine „Belastungsstatistik“ bei einem Versicherungsunternehmen aufgehoben.

Schauen wir uns den Sachverhalt einmal genauer an, Details dazu finden wir in diesem Artikel: Bundesarbeitsgericht: Dauerhafte Produktivitäts-Überwachung der Arbeitnehmer ist nicht erlaubt.

Mit einer "Belastungsstatistik" wollte das Versicherungsunternehmen »die Belastung der Sachbearbeiter überprüfen, die in den Außenstellen für die Schadensregulierung zuständig sind. Grund waren die nach Angaben des Unternehmens erheblichen Unterschiede in der Produktivität der Außenstellen.«

Nun ist es so, dass der Betriebsrat bei technischen Überwachungen der Arbeitnehmer ein  Mitspracherecht hat und im vorliegenden Fall konnten sich Unternehmen und Betriebsrat nicht verständigen, so dass eine Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung zu dem Thema verfasst hat:

»Danach sollten unter anderem für jeden Sachbearbeiter die Zahl der erledigten Fälle und die „Rückstände“ auf dem jeweiligen Schreibtisch ermittelt werden. Diese und detaillierte weitere Daten sollten dann wöchentlich durch den Firmencomputer ausgewertet werden.«

Damit nun war der Gesamtbetriebsrat des betroffenen Unternehmens nicht einverstanden - und klagte gegen die Regelung in der Betriebsvereinbarung.

Das BAG gab nun dem Betriebsrat recht. Der Spruch der Einigungsstelle verletze die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer. Mit welcher Begründung?

»Zwar sei es grundsätzlich ein legitimes Anliegen des Arbeitgebers, die Ursachen der unterschiedlichen Produktivität der Außenstellen in Erfahrung zu bringen. Das BAG äußerte allerdings Zweifel, ob die „Belastungsstatistik“ in der vorgesehenen Form hierfür überhaupt geeignet ist.

Denn vorrangig werde nicht die Belastung, sondern die Produktivität der einzelnen Sachbearbeiter erfasst. Dabei bleibe der Schweregrad des jeweiligen Falls völlig unberücksichtigt. Gründe für die bestehenden Unterschiede würden gar nicht ermittelt.

Zudem sei nicht ersichtlich, warum nicht eine Stichprobenerhebung ausreicht. Dadurch könnte der Überwachungsdruck für die Arbeitnehmer erheblich gemindert werden, so das BAG. Weiter rügten die Erfurter Richter, dass die einzelnen Sachbearbeiter gar nicht erkennen könnten, ob ihre Leistung von der ihrer Kollegen abweiche.«

„Für diesen schwerwiegenden dauerhaften Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer gibt es keine hinreichende Rechtfertigung“, urteilte das Bundesarbeitsgericht.